18. Bericht aus Rumbek, 25. Juni 2009 Es ist höchste Zeit für einen weitern Bericht über meine Arbeit! Das fand auch eine Kollegin von mir von der Diakonie in Stuttgart, die nach dem nächsten Bericht fragte. Dazu mein Briefwechsel mit der Kollegin. Hallo Carolin, vielen Dank für Dein Interesse an meiner Nebentätigkeit hier in Rumbek. Ich müsste wirklich mal wieder einen Bericht schrieben. Leider mache ich in diesen Monaten hier so viele unerfreuliche Erfahrungen, dass ich nie recht weiß, wie ich darüber ehrlich berichten soll, ohne Spender zu vergraulen und gewissen Vorurteilen gegenüber Afrika Nahrung zu geben. Deshalb spiele ich mit der Zeit und hoffe, irgendwann mal wieder etwas Positives zu erleben, um das als Aufhänger zu nutzen. Gerade heute gab es aber wieder einmal eine Enttäuschung, die mich am Sinn meiner Arbeit wirklich zweifeln lässt, ein echter GAU*! Bis bald und viele Grüsse, Martin * Zur Erinnerung: GAU steht für "Größter anzunehmender Unfall", ein Begriff ursprünglich aus der Atomenergienutzung. Hallo Martin,
Du machst es aber
wirklich spannend - was für ein (Super-) GAU ist dir denn widerfahren?
Also auf Googlenews konnte ich nichts finden ;-)
Hallo Carolin,
An der einen Schule ist der Contractor, der, nachdem die ersten beiden
in den beiden vergangenen Jahren jeweils die Arbeit nicht abgeschlossen
hatten, jetzt als dritter das zweite Klassenraumgebäude endlich fertig
stellen sollte, auch wieder plötzlich verschwunden. Seine Arbeiter waren
wieder nicht bezahlt worden und gleichzeitig war plötzlich der Zement
‚verbraucht’. Eine Geschichte, die sich jedes Jahr auf ’s Neue
wiederholt! Jedes Jahr erneut ärgerlich und zwar umso mehr, je öfter es
wiederholt wird. Und als ob das nicht genug wäre, komme ich jetzt zum GAU. Der passierte im Zusammenhang mit dem Schulbauvorhaben in einem Dorf namens Duony draußen im Busch ca. 50 km von Rumbek. Mit Mühe hatten wir den Transport eines meiner Container von Rumbek dahin organisiert, für schlappe 1300,-$. Es ging mit dem Container auf dem LKW 30km von Rumbek in den Ort Abirriu, wo die Straße nach Norden Richtung Duony abzweigt. In Abirriu sollte Santino auf uns warten, er ist aus Duony und wurde als Übersetzer gebraucht. Er war nicht da, hat die Verabredung verschwitzt. Nach langem Suchen und Fragen fand sich Samuel bereit, mit uns zu kommen. Er ist ein richtig netter Kerl, ein ‚real man of God’ und ‚fellow of Jesus Christ’, wie er nicht müde wurde uns zu versichern. Die Tour wurde ein kleines Abenteuer. Als wir im Dorf ankamen, stellten wir fest, dass nichts vorbereitet war wie abgesprochen. Kein Mensch zu sehen, nur ein verlassenes Cattle Camp. Es war schon spät am Nachmittag. Ich war drauf und dran, das Project abzublasen. Denn, wenn es so läuft, dann wird es ein Desaster. Dann kamen langsam Leute aus der Umgebung. Samuel und ich haben sie dazu gebracht, so schnell wie möglich die ganzen Stöcke, die zum Anbinden der Kühe in der Erde steckten, und einige Wurzeln auszureißen, damit der LKW da herfahren kann. Als das getan war, es dämmerte schon, fand ich die LKW Fahrer, beide Moslems, im Gebet. Der Tag war gelaufen, es wurde dunkel, und wir stellten uns auf die Übernachtung im Dorf ein.
Nachdem am anderen Morgen der Container abgeladen war, fuhren wir nach
Abirriu zurück, wo wir hielten, um zum Frühstück Tee zu trinken. Da
wendete sich Samuel an mich, um zu besprechen, was ich jetzt für ihn tun
könnte. Ich war schon etwas enttäuscht, aber wie hatte ich denken
können, jemand würde etwas einfach als Hilfe umsonst tun? Ich habe
ihm 30 Pfund, den Tageslohn eines meiner Arbeiter am Bau, angeboten.
Das hat er ärgerlich abgelehnt, das Mindeste, was er akzeptieren könne,
seien 200,-Pfund! Das ist der Monatslohn einiger der Angestellten der
Diakonie! Da habe ich festgestellt, dass ein Missverständnis vorliegt
und mit Verweis darauf, dass er weder Vertrag noch eine mündliche
Vereinbarung mit mir hat, ihm für seine Hilfe gedankt und mich
abgewendet. Er hat direkt einen „case“ gegen mich vor Ort eröffnet und
ich musste mich vor dem Dorfgericht verantworten. Im Verlauf der
Verhandlung, in der die Richter und Geschworenen natürlich für Samuel
Partei einnahmen, wurde ich dann beschimpft: „You are not a good man,
you are cheating all of us, you are a lire, nobody ever works for free!
You better go back to your country! This school in Duony we can easily
built with somebody else, with any American! Shame on you!” ("Du bist
kein Guter, du betrügst uns alle, du bist ein Lügner, niemand arbeitet
jemals umsonst! Geh besser wieder nach Hause! Diese Schule in Duony
können wir sehr leicht mit jemand anderem bauen, mit irgendeinem
Amerikaner! Schäm Dich!") Und ich wurde gezwungen, den Betrag an Samuel
zu zahlen. Da musste ich dann das Projekt für beendet erklären, mit
großem ehrlichen Bedauern und Mitleid für die Dorfbewohner, die sich ja
nichts haben zu Schulden kommen lassen und nur die Leid tragenden sind.
Aber leider kann ich das Projekt nicht abwickeln, wenn ich dabei auf
Typen angewiesen bin, die das Ganze nicht begreifen und mich so
behandeln. Hallo Martin, wow, das klingt echt nach Gau! Das ist ja Wahnsinn! Ich kann mir vorstellen, dass es zum Einen ziemlich ernüchternd ist, wenn man so viel Arbeit und Herzblut in den Schulbau steckt und dann ständig der Zement "verbraucht" ist, die Arbeiter weg sind... und man wieder von vorn beginnen kann. Und zum Anderen ist es wohl ziemlich enttäuschend, wenn man alles gibt - und vor allem ziemlich viel aufgibt - und sich nicht nur beruflich sondern auch privat 100%ig engagiert... und dann vom Nachbarn, der ja scheinbar selbst genug Geld hat, auch noch abgezockt wird. Und als Dank und quasi Krönung obendrauf noch so eine Dreistigkeit und Gier in diesem anderen Dorf mit dem Schulbau?! Wow! Ich glaube, allerspätestens da hätte ich meine Sachen gepackt und wäre nach Deutschland gedüst, um wieder ein bisschen bürokratische Ordnung und demokratischen Frieden zu tanken...! Ich hoffe, dass du das Wochenende in Juba gut rumbringst... vielleicht kannst du ja ein e-book im Internet lesen (oder kostet Internet dort pro Minute)? LG! Carolin Soweit unser Briefwechsel. Ich möchte damit möglichst authentisch beschreiben, was die Arbeit hier so schwierig macht. Schon in den letzten Jahren habe ich bei meinen Vorträgen in Deutschland immer ausführlich und ehrlich zu berichten versucht. Dass hier nicht alles rund läuft, kann ja nicht überraschen. Ich meine, es ist auch gut, wenn die Spender bewusst entscheiden, welcher Einsatz auch ihrerseits angemessen ist. Wer weiterhin spendet, der macht es bewusst trotz aller Rückschläge und entlastet mich damit in der Verantwortung. Und alle Maßahmen zur Verbesserung des Bildungsniveaus sind ja als umso sinnvoller zu bewerten, je unangemessener die Leute sich hier verhalten. Jetzt freue ich mich, wenigstens in Teilen die Geschichten positiv weiter erzählen zu können: John Magar ist nach 5 Wochen Abwesenheit wieder aufgetaucht. Er hatte eine dubiose Erklärung für sein Verschwinden, entschuldigte sich vielmals und versprach Besserung. Entgegen früherer Angaben versicherten seine Arbeiter, dass alles in Ordnung sei, so dass ich ihn dann weiter arbeiten ließ. Das tat er in den folgenden Wochen langsam und unregelmäßig mit weiterhin erhöhtem Zementverbrauch. Der Verdacht des Zementdiebstahls besteht nach wie vor und wird auch durch Nachbarn der Schule bestätigt, die aber nur Ohrenzeugen nächtlichen Diebstahls sind. Das reicht nicht für eine Anklage und ein Verfahren. John ist in diesen Tagen offenbar fertig geworden mit dem Wandputz und dem Zementestrichboden. Die letzte Zahlung werde ich ihm allerdings verweigern, weil immerhin in einem Fall er mein Geld nachweislich nicht absprachegemäß verwendet hat. Damit ist das Kapitel beendet, und es fehlen jetzt an diesem Gebäude nur noch Fenster und Türen. Halleluja! Unterdessen hat sich an der Schule Mabor Nagp Sensationelles ereignet! Und zwar haben die Schüler Materialien und die Lehrer Geld für einen Bambuszaun (siehe Bild links) zusammen getragen, der das Lehrerbüro vor den Kindern schützt, bis in diesem die Arbeiten abgeschlossen sind und nicht etwa frischer Wandputz gleich wieder zerkratzt wird. Das ist wirklich bemerkenswert, denn es ist der allererste Beitrag, den die Einheimeischen zu den Schulbauvorhaben leisten, seit ich Ende 2005 damit begonnen habe! Santino ist inzwischen mit dem Verputz fertig und wartet auf den Einbau der Fenster- und Türrahmen, der sich in üblicher Weise verzögert. "Mafi Mushkila!" Das hört man hier auch sehr häufig, ist arabisch und bedeutet "Kein Problem!"
Nun zum Wichtigsten, der Entwicklung
im Fall Duony. Soweit dieser lange Bericht.
Herzliche Grüße, Martin
Grütters |
|||||||||||
Spendenkonto: Das Konto ist inzwischen geschlossen! Ganz herzlichen Dank noch einmal an alle, die zu den Projekten der vergangenen Jahre ihren Beitrag geleistet haben! |
|||||||||||
Die folgenden Links führen zu den früheren Berichten: 1. Bericht aus Rumbek, 15. Mai 2005 (Die ersten Eindrücke) 2. Bericht aus Rumbek, 18. Juni 2005 (Hilfsprojekt für IDPs) 3. Bericht aus Rumbek, 21. August 2005 (Erstaunliches aus der Dinka-Kultur) 4. Bericht aus Rumbek, 20. Oktober 2005 (Über das Leben der Menschen in Rumbek) 5. Bericht aus Rumbek, 20. Dezember 2005 (Die Schule Mabor Ngap, Rumbek) 6. Bericht aus Rumbek, 05. März 2006 (Der Neubau der Schule Mabor Ngap, Rumbek) 7. Bericht aus Afrika, 28. April 2006 (Am Ende meines ersten Jahres) 8. Bericht aus Rumbek, 10. September 2006 (Nach dem Aufenthalt in Deutschland) 9. Bericht aus Rumbek, 01. November 2006 (Fortschritte bei der Projektarbeit) 10. Bericht aus Rumbek, 04.Februar 2007 (Langsamkeit als Therapie) 11. Bericht aus Rumbek, 31. Mai 2007 (Der Abschluss des zweiten Jahres) 12. Bericht aus Rumbek, 1. Dezember 2007 (Neuanfang als Selbständiger) 13. Bericht aus Rumbek, 22. März 2007 (Volldampf an den Baustellen) 14. Bericht aus Rumbek, 26. April 2007 (Langsamkeit und Stagnation) 15. Bericht über die Arbeit in Rumbek, 30. Juli 2008 (Am Ende des dritten Jahres) 16. Bericht aus Rumbek, 01. März 2009 (Wiedereinleben zuhause in Rumbek) 17. Bericht aus Rumbek, 04. April 2009 (Sand im Getriebe) 19. Bericht aus Rumbek, 20. Dezember 2009 (Das Ende ist nah!) 20. Bericht aus Rumbek, 31. März 2010 (Start der letzten Runde) 21. Bericht aus Rumbek, 04. September 2010 (Auf zum letzten Gefecht) 22. Bericht aus Rumbek, 12. Dezember 2010 (Wirklich der letzte?) |